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Verweichlichtes Weissbrot

Vom Campamento Lacandones aus, gönnen wir uns einen Guide, um eine Übernachtung im Dschungel zu erleben.

Obwohl wir jetzt schon rundum umgeben vom üppigen Grün der Wälder und nur wenige Schritte davon entfernt sind, erscheint uns der Dschungel unerreichbar. Es ist seltsam, aber mir fällt zum ersten Mal auf, dass ich in mir unbekannter Natur fremdle.

So stapfen wir also mit Will.I.am, der uns den geheimen Eingang (durch eines der Camps) in den Selva Monte Azul zeigt los. 12 Kilometer liegen vor uns und Will rast als wären wir auf der Flucht. Wir rennen ihm hinterher, auf Pfaden, Trampfelpfaden und Nicht-mal-mehr-Trampelpfaden. Teilweise erkenne ich nicht einmal, dass sich eine Abzweigung vor uns auf tut, während Will schon abbiegt. Durch Lianen, über Wurzeln und umgefallene Bäume, drunter durch, dran vorbei - er hält das Tempo. Wir laufen so schnell voran, dass Anna und ich 100 % damit beschäftigt sind, auf den Weg zu achten, um bei der Geschwindigkeit nicht draufzugehen, sodass der Dschungel an uns vorüberzieht, ohne dass wir ihn groß wahrnehmen. Er streift uns, berührt aus, streckt seine Lianen nach uns aus, bringt uns zum Taumeln und erreicht uns dennoch nicht. Die wunderschönen, strahlend blauen Flussläufe, die wir mit morschen, wackligen Holzgestellen überqueren, die Baumgiganten, Vögel, Insekten und anderen Waldbewohner, rauschen an uns vorbei, während der Hunger wächst und keine Pause für uns in Sicht ist.

Das Aggressionspotential steigt mit jedem Insekt, das sich todesmutig in mein Auge stürzt. Was ist der Sinn dahinter??? Dennoch bin ich trotz zunehmenden Zweifeln freudig und gespannt, später können wir ja noch in aller Ruhe die Natur erkunden.

Schließlich kommen wir im Lager an... Die Lagune von der die Rede war, ist weit und breit nicht zu sehen. Kaum bleiben wir stehen, stürzen sich die ausgehungerten Mücken auf uns (und man juckt das, selbst drei Tage später noch!) und wir schlagen wild um uns, während wir das Zelt aufbauen. Heute Nacht erwartet uns der nackte, kühle Waldboden und zu allem Überfluss ist das Zelt auch noch mückentechnisch undicht. Langsam steigt nun doch die innere Unruhe. Mücken surren in meinen Ohren und ich veranstalte bereits einen Juckende - Beine - Tanz.

Will.I.am schenkt uns keine Beachtung mehr, während er sein Zelt aufbaut, Holz sammelt, um schließlich auf einem Feuer für uns zu kochen. Frustriert sitzen wir auf einem morschen Brett. An Meditieren, mit der Natur verbinden und Tagebuch schreiben ist nicht zu denken. Anna ist schon lange dem Hungertod nahe und ich fühle mich wie ein verlauster Straßenhund, auf dem ein Flohzirkus stattfindet.

Als Will das nächste Mal auftaucht, fragen wir ihn, wo die Lagune ist und ob man das Wasser wirklich trinken kann, denn das ist auch schon lange leer. Zu allem: Daumen hoch.

Also stapfen wir den sumpfigen Weg entlang und stoßen auf zwei halb versunkene Holz-Kanus in einem stinkenden Wasserloch. Das reicht, um endlich in Gelächter auszubrechen. Wo zur Hölle sind wir hier gelandet? Zwischen Verzweiflung und Belustigung diskutieren wir darüber wie es weitergeht. Eigentlich wollen wir einfach nur Heim. Sind wir so verweichlicht???

Irgendwann schleichen wir zurück ins Lager, wo das Essen immer noch nicht fertig ist. Wenigstens lassen uns die Mücken am Feuer in Ruhe.

Will.I.am hat ein paar Blumen von Palmen gesammelt, die sehr an Mais erinnern und bereitet sie gerade in einer Pfanne mit Eiern zu. Dazu gibt es, Überraschung, Mais - Tortillas. Dauerbrenner in Mexiko.

Nach so langem Hungern und dem anstrengenden Marsch in der Hitze sieht das schrecklich wenig aus, doch dann packt er zu unserem Glück seine Tupperdose aus und präsentiert Bohnen, Reis und Hühnchen. Wir stürzen uns, nur leicht gehemmt, auch auf seine "Brotzeit". Während wir uns den Bauch vollschlagen, wische ich weiterhin in meinem Auge herum, um die letzten Insekten - Substanzen rauszubekommen und endlich habe ich eine der 1000 Fliegen vom Herweg in den Fingern. Fühlt sich sehr erfolgreich an.

Gesättigt und mückenfrei sieht die Welt schon besser aus. Außerdem erzählt Will uns endlich mal mehr als nur von den drei Heilpflanzen, auf die er im vorüberrennen gezeigt hat. Er spricht über die Lacandonen, die Natur und den Wald. Es gibt hier viele wilde Tiere, darunter Jaguar, Puma und Tapir. Mit Wildkameras wurde der Jaguar in seinem Territorium direkt neben dem Lager beobachtet. Will selbst ist ihm schon acht mal in seinem Leben begegnet. Total beeindruckend, natürlich hoffen wir da jetzt auch drauf.

Viele Traditionen sind den Lacandonen nicht mehr geblieben. Seit sie vor ca. 45 Jahren den Wald verlassen haben, um zusammen in Gemeinschaften leben zu können, haben sie sich rapide an die moderne Welt angepasst. Früher einmal hat jede Familie mit einer Entfernung von ca. 12 Kilometern zur nächsten gelebt, es gab viele Opferrituale, die Männer hatten viele Frauen und man bat die Natur bei allem um Erlaubnis. Nur Wenige lernen noch von ihren Eltern und Großeltern über die Kraft der Heilpflanzen. Selbst das lange Haar und die weißen Gewänder, welche zu einer besonderen Verbindung mit der Natur und den Geistern dienen, haben die meisten abgelegt.

Nach dem Essen teilen wir Will auch unsere Zweifel mit und er sagt, das sei kein Problem, denn er hat eine Stirnlampe. Ich habe Kopfweh vom vielen Spanisch. Wir fühlen uns erschöpft, verschwitzt, aber zufriedener, deshalb beschließen wir erstmal die Lagune genauer zu entdecken und uns später zu entscheiden.

Will befreit eins der Holzkanus aus dem Wasser und wir ziehen unsere Badekleidung an. Dann steigen wir ein, während er durch den Morast läuft und das Kanu schiebt. Selbst hier summt jedes Mal, wenn ich denke, "Ach geht doch mit den Mücken", eine Mücke in meinem Ohr.

Plötzlich öffnet sich vor uns das Schilf und gibt den Blick auf einen atemberaubend klaren, riesigen See frei. Rundherum nichts als Wald, Grün überlagert Grün, wir hören den grunzenden Ruf einer bestimmten Affenart, den Gesang der Vögel, den Wind in den tiefen des Dschungels. Wolken spielen am Himmel und die Sonne wirft ihr Licht in goldenen Strahlen hindurch. Zwei kleine Inseln erheben sich aus dem Wasser, eine wilder als die andere, voll bärtiger Bäume, Lianen und üppigem Grün. Eine davon, sagt uns Will, war einst ein Maya - Friedhof. Über allem liegt eine magisch mystische Atmosphäre. Glücklich lassen wir uns ins Wasser gleiten, wo weicher Schlamm unsere Füße umfängt und kleine glänzende Fische sich über unsere alte Haut hermachen. Endlich können wir unsere Wasserflaschen auffüllen und uns im angenehmen Wasser erfrischen. Es fühlt sich so heilsam an.

Nach einem ausführlichen Bad, ist unser Kopf klarer und obwohl wir jetzt begeistert sind, wollen wir uns das Erlebnis nicht mit einer schlaflosen Nacht verderben. Mir machen immer noch die Mücken Sorgen und Anna der Mangel an Essen. Außerdem heult der Wind wie ein Löwe im Wald und fegt dunkle Wolken herbei. So teilen wir Will unsere Entscheidung zu gehen mit, brechen unser Lager ab und machen uns gegen 18 Uhr auf in den dunklen Wald.

Wieder stürmt er wie ein Irrer vor uns her und die Dunkelheit macht es nicht leichter, ihm zu folgen. Eigentlich erscheint es mir unmöglich, den Rückweg in dieser Finsternis zu finden, doch Will läuft souverän weiter. Ein bisschen hoffe ich ja doch noch auf den Jaguar. Doch der bleibt natürlich fern. So rennen wir wieder drei Stunden durch den Wald. Im Dunkeln fühle ich mich plötzlich ganz beklemmtnund eingeengt zwischen all den Ästen und Lianen, die sich uns entgegen drängen. Stur hefte uch mich an Wills Fersen und halte den Gedanken an die Freude am nächsten Morgen und dass dieser Marsch auch vorbei geht, fest. Selbst jetzt entdeckt er während seinem Marathon noch Falter, schlüpfende Gottesanbeterinnnen und mehr.

Endlich spuckt uns der Dschungel wieder aus. Da es spät ist, kaufen wir Kekse und verkriechen uns so schnell wie möglich im Zimmer. Wände, weiches Bett und Moskitonetze. Wir spachteln die Kekse und blanke Haferflocken wie zwei hungrige Pumas in uns rein und legen uns schlafen. Die Beine schmerzen und die Erschöpfung schlägt ein wie eine Bombe. Heute sind wir 24 Kilometer in sechs Stunden durch den Dschungel gerannt, wurden gefressen und hatten selbst nichts zu Essen und haben unsere doch sehr bequemen Grenzen erkannt.

Doch Schlaf ist nicht angesagt. Im Stress und Schweiß hab ich gar nicht gespürt wie bestialisch die Stiche jucken, doch jetzt in der Ruhe geht es los. Da hilft auch kein Lavendelöl mehr. Ich atme, konzentriere mich und strenge mich an, um nicht kreischend in Kreis zu rennen. Ab und zu dämmere ich weg. Als die Sonne aufgeht, springe ich aus dem Bett, schnappe mir das Feuerzeug und einen Löffel. Mir ist alles egal, solange dieses höllische Jucken aufhört.

So sitze ich vor der Hütte und verbrenne meine Stiche ... Was für ein Abenteuer.



 
 
 

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